Zur Geschichte der deutschen Orgelmusik  
 in der Frühklassik

 

[Dissertation]
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Temperatur/Bach]
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Temperatur/Klassik]
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Temperatur/Schubert]
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Gesänge der Frühe]
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Musica Sacra]
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CD-Begleittexte]
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Die Kurrende]

Vorwort

Die gegenwärtige musikwissenschaftliche Forschung richtet ihr besonderes Augenmerk auf jenen Abschnitt in der Geschichte der Orgelmusik, der allgemein mit einer gewissen Geringschätzung als “Verfallszeit” bezeichnet wird. Er beginnt mit dem Tode J.S.Bachs und endet mit dem Orgelschaffen Max Regers. Mit dem Fortgang der Untersuchungen erfährt dieser Wertungsbegriff eine immer deutlicher werdende Umprägung. Man hat eingesehen, dass eine von rein fomalstilistischen Prinzipien geleitete Betrachtungsweise hier zu glatten Fehlergebnissen führen musste, und beginnt in stärkerem Maße den Wandel des musikalischen Ausdrucks im Lichte der durch die Zeitauffassung geschaffenen geistigen Grundlagen in den Kreis der Untersuchungen mit einzubeziehen. Dann erkennt man, dass “Verfall” eigentlich nur eine Verlagerung des Schwerpunkts bedeutet. Nicht die Kunst Joh. Seb. Bachs zerfiel -- denn die war ja ein in sich abgeschlossenes Ganzes --, sondern traditionelle Formen wurden teils abgegriffen, teils gesprengt dadurch, dass ein neuer Geist sie erfüllte. Und in diesem Ringen um die Art des musikalischen Ausdrucks liegt ein Enthusiasmus, ein Heldentum, das nur zu leicht vom Musikhistoriker übersehen und damit nicht gewertet werden kann.

Vorliegende Arbeit geht methodisch neue Wege. Sie will keinen Querschnitt durch die Entwicklungsgeschichte einzelner Gattungen geben, wie ihn etwa Gustav Fellerer in seinen “Studien zur Orgelmusik des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts” in den Grundzügen andeutet -- wobei die Gefahr besteht, von der schier unübersehbaren Fülle des Materials erdrückt zu werden und an Kernproblemen vorübergehen zu müssen -- , sondern versucht, den formalen Stilwandel und den Wandel der Ausdrucksbedeutung von extrem sich gegenüberstehenden Polen her zu erfassen. Diese Polarität liegt in den Begriffen “Tradition” und “Moderne”. Der Beschluss der Untersuchungen zeit im Kausal-Zusammenhang den Weg der Orgelmusik von Bach bis Reger und will zugleich der “Verfallszeit” Sinn und Bedeutung geben.

Meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Joseph M. Müller-Blattau, der dieser Arbeit mannigfache Anregung werden ließ und ohne dessen grundlegende “Fugengeschichte” sie schwerlich hätte gedeihen können, gilt in erster Linie aufrichtiger Dank.

Verbindlichster Dank gebührt ferner Herrn Professor Van den Borren in Brüssel für wertvolle Hinweise und den Herren Direktoren der Staatsbibliotheken in Königsberg, Berlin, München, Leipzig, Wien und Stockholm, der Stadtbibliotheken in Leipzig und Danzig, der Wiener Hofbibliothek und dem Rigaer Stadtarchiv für freundliche Überlassung des handschriftlichen Materials.

Dankbar gedenke ich auch der Orgelmeister Adolf Wiber (St. Moritz) und Oskar Rebling (U.L.Frauen) in Halle a.d.S. und Günther Ramin (St. Thomas) in Leipzig, von denen ich schon von früher Jugend an unauslöschliche Eindrücke und Anregungen im Hören und im praktischen Orgelspiel empfangen durfte.